Fragen ohne Antworten

Aus: “Geheimdienst ohne Maske“, Richard Meier, Bergisch Gladbach, 1992 (S.30ff) Fragen ohne Antworten

„Fast acht Jahre auf dem Sessel des Präsidenten eines deutschen Geheimdienstes gehen nicht spurlos an einem vorüber. Von führenden Politikern der Bundesrepublik wird man gekannt, geschätzt, geduldet, angefeindet, aber auch gefürchtet. Ein Präsident, was mag der alles gewußt haben? Was mag er alles heute noch wissen? Was muß er vergessen "können"? Was muß ihm in Erinnerung bleiben? So lauten die häufigsten Fragen, die mir gestellt werden. Journalisten – bemüht, einen Mythos bestätigt zu sehen – stellen diese Fragen, die nicht beantwortet werden können, nicht beantwortet werden dürfen. Obwohl es die Antworten gibt.

Etwa: Kennen sie Politiker, die heute noch Agenten eines osteuropäischen Nachrichtendienstes sind? Warum sind sie nie enttarnt worden? Wer hält die Hand über sie? Welche Beweise liegen vor? Oder sind es Agenten, von deren Spionagetätigkeit sie wissen, die sie indes nicht beweisen können?

Kennen sie Politiker, die für einen westlichen Nachrichtendienst arbeiten? Sogar gegen die Bundesrepublik? Wo arbeiten sie und für welchen Nachrichtendienst? Arbeiteten deutsche Politiker für den amerikanischen Nachrichtendienst CIA? Oder für den französischen Dienst?

Es wird so viel von der unzulässigen heimlichen Tätigkeit etwa beim Bundesamt für Verfassungsschutz gesprochen. Konnten sie als dessen ehemaliger Präsident wichtige Personalentscheidungen in Bonn beeinflussen? Haben sie Karrieren von Politikern beendet? Oder andere erst möglich gemacht? Und wessen Karrieren waren das? Welche die Öffentlichkeit möglicherweise erschütternden Tatsachen sind dabei vertuscht worden? Bei wem? Mit welchen Behauptungen? Ist dabei wirklich immer die ganze Wahrheit vorgetragen worden? Wenn nicht, warum dann – vielleicht – nur die halbe? Wie viele von diesen halben Wahrheiten sind ihnen heute noch gegenwärtig? Sind die Belasteten heute noch einflußreich? Wäre es nicht möglich, heute noch etwas gegen sie zu unternehmen?

Oder: Wie war das mit den zahlreichen Ministerrücktritten? Sind die "normalen" Gründe nur eine öffentliche Lüge gewesen? Gab es ganz andere Hintergründe? Besteht bei solchen Persönlichkeiten heute noch die Sorge, daß etwas von der Wahrheit ans Licht kommen könnte? Warum geschieht nichts? Oder wollen sie gar nicht, daß etwas geschieht?

Haben sie auch Material gegen Landesminister und Landes – Senatoren erhalten? Etwa durch ihren eigenen Dienst? Haben sie den entsprechenden Sachverhalt der zuständigen Bundespartei vorgetragen? Waren das Dinge, die die Lebensführung der Betroffenen berührten?

Wie hat dann die zuständige Bundespartei auf die jeweilige Landespartei eingewirkt? Oder haben sie als Präsident Parteikarrieren verhindert? Gelten nach ihren Erfahrungen bei Politikern andere Maßstäbe, als sie etwa bei ihnen selbst gegolten haben? Sie sind als politischer Beamter in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden, weil bei einem Autounfall eine "Bekannte" fahrlässig getötet wurde? Gibt es solche Verwicklungen auch in der Politik? Bei vielen Politikern? Welche Verwicklungen sind das? Sind diese Politiker bekannt oder unbekannt?

Gibt es politische Beamte, die noch heute im gleichen, ja vielleicht höheren Rang tätig sind, obwohl sie der bis 1982 amtierenden Regierung damals schon besonders gedient haben? Wenn ja, wer ist das?

Gibt es auch Staatssekretäre, die davon betroffen sind? In welcher Weise haben diese Beamten ganz besonders gedient? Mit welchen Politikern standen sie auf besonders gutem Fuß? Wußten sie als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz wirklich so wenig über die terroristische Szene? Oder hatten sie andere Gründe, diesen Eindruck zu erwecken?

Vor langer Zeit, vor über zwanzig Jahren, war zu lesen, daß deutsche Nachrichtendienste Geld an Journalisten fließen ließen, um gut "behandelt" zu werden? Sind dies immer noch bekannte Journalisten? Oder haben sie sogar eine bundesweite Karriere gemacht? Welche Entscheidungen sind über diese Journalisten beeinflußt worden? Wie ist das Bild in der Öffentlichkeit verzerrt worden? Haben deutsche Nachrichtendienste nie gegen die eigenen Politiker gearbeitet? Sind nie Dossiers über deutsche Politiker von deutschen Nachrichtendiensten angelegt worden? Über Politiker welcher Parteien? Oder etwa nur einer ganz bestimmten? Sind Politiker bespitzelt worden? Von den eigenen Nachrichtendiensten? Haben Nachrichtendienste auf diesem Weg Politik gemacht?

Angenommen, die Bundesrepublik wäre durch einen Sieg der Kommunisten in die DDR eingegliedert worden – was hätte eine "Sonderbehörde" zur Aufarbeitung der "BRD – Vergangenheit" in den Akten der westdeutschen Geheimdienste alles finden können?

Dinge, die Gegenstand obiger Fragen sind? Oder noch viel schlimmeres? Wären sogar Erkenntnisse über Morde westlicher Geheimdienste zu lesen gewesen? Morde, von denen auch heute noch bedeutende Politiker westlicher Staaten wissen müßten? Weil sie sogar früher selbst zu dem betreffenden Geheimdienst gehörten? Oder könnte diese "Sonderbehörde" gar etwas über Folterungen bei westlichen Diensten erfahren, die uns besonders nahe stehen? Über die Morddrohungen, mit denen man die Folteropfer zum Schweigen bringt? Über Waffenlieferungen und andere Formen der Einmischung nach Art der Iran –Contra – Affäre? Oder über Staatsstreiche, die von diesen Diensten initiiert wurden? Wo? Unter welchen Umständen? Und was würde die "Sonderbehörde" daraus machen, mit ihrer kommunistischen Pflicht zur Wahrheit? Mit ihrer Pflicht zur Agitation? Gerade um zu zeigen, wie verlogen die freiheitliche Demokratie nach ihrer Meinung ist? Der Traum von der Wiedervereinigung – wäre er nicht zum Alptraum geworden?

All diese Fragen können nicht beantwortet werden. Sie beschäftigen mich aber ganz besonders.“

Welche Eindrücke soll wohl der Leser gewinnen? Diese Fragen ohne Antworten sind sicher nicht ohne Grund geschrieben worden.

Die Antworten ergeben sich aus dem Zusammenhang.

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